Lieber eine Kante als keine Ecken

Wochen-Impulse 27/2019

Wer will schon weichgespült? Zumindest bei der etablierten Politikergilde haben wir zunehmend die Nase voll von den uniformen, austauschbaren und weichgespülten Typen. Die mit den Ecken und Kanten liegen leider schon ein paar Meter unter der Erde. Auch im Berufsleben sind zunehmend wieder Persönlichkeiten gefragt.

Die deutsche Wirtschaft hat die erste Delle in diesem Jahr bekommen, so dass es absehbar ist, dass die eingenordeten Mitschwimmer und JA-Sager auch zukünftig über dieses Maß nicht hinauskommen und beruflich keine Bäume ausreißen werden können. Wie schon im Impuls der letzten Woche geschrieben, freuen sich zunehmend mehr Personaler über Kandidaten, die mehr als nur gute Noten zu bieten haben.

Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die am meisten gesuchte und erwartete Fähigkeit bei Kandidaten sind. Die Manpower Group hat in ihrer aktuellen Studie „Soft Skills for Talent“ in 15 europäischen Ländern 4.990 Unternehmensvertreter befragt. Ganz oben stehen in Deutschland bei den Unternehmensvertretern die Fähigkeiten Problemlösung (52%), Entscheidungskompetenz (50%), Belastbarkeit (50%) und Zielorientierung (49%). Diese Fähigkeiten werden sicherlich nicht nur von Talenten erwünscht.

Eine weitere umfassende Studie hat die Metasuchmaschine Joblift durchgeführt und dabei länderübergreifend über einen Zeitraum von 12 Monaten über 30 Millionen Stellenanzeigen untersucht. Davon mehr als neun Millionen in Deutschland. Hierbei kommt es interessanterweise im Vergleich zur Manpower-Studie zu abweichenden Skills in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, warum bei der Befragung andere Skills als wichtig erachtet werden als in Stellenausschreibungen?

Mit weitem Abstand am wichtigsten waren den Personalern in Deutschland Teamfähigkeit (rund 2,7 Millionen Nennungen) und Zuverlässigkeit. Die Top 5 Skills werden komplettiert durch Engagement, Kommunikationsgeschick und Anpassungsfähigkeit (immerhin noch knapp eineinhalb Millionen Erwähn-ungen).

Ein Autorenteam von „Die Welt“ hat einen interessanten Beitrag über stromlinienförmige Führungskräfte in deutschen Unternehmen verfasst und damit durchaus für ein großes Fragezeichen hinter den regelmäßig geforderten Soft Skills gesorgt. „Warum die vermeintliche Teamfähigkeit oft einhergeht mit maximaler Unauffälligkeit, erklärt das allerdings nicht. „Ecken und Kanten können Karrierebarrieren sein“ sagt der frühere Ergo-Vorstand und Selfmade-Millionär Harald Christ. Gleichförmigkeit sei daher oft der Garant für berufliches Fortkommen. Und Personalberater seien noch dazu häufig Teil des Systems, weil sie allzu oft nur „stromlinienförmige Lebensläufe vermitteln“. […] Ein Berater, der sich in den ersten und zweiten Führungsetagen der deutschen Großkonzerne auskennt, erzählt: „Ich treffe wöchentlich neue Manager aus den unterschiedlichsten Firmen. Aber von denen bleibt mir in acht Wochen vielleicht einer in lebhafter Erinnerung.“ Der Rest? „Ist graues Mittelmaß.“ […] In guten Zeiten sei die Austauschbarkeit des Führungspersonals kein Problem, sagt der Ex-Manager Christ. „In Krisenzeiten zeigt sich jedoch, dass viele überfordert sind, weil es Individualismus und andere Fähigkeiten braucht, um ein Unternehmen durch die raue See zu steuern.“1

Die geforderten Skills unterliegen ebenso Schwankungen und Veränderungen, wie die Unternehmen sowie unsere Gesellschaft. Sie sind Spiegelbild kultureller Veränderungen und somit ein Stück weit eine Modeerscheinung. In der Nachkriegszeit waren andere Kompetenzen gefragt, als in den 1990er Jahren oder heute.

Der intelligente Bewerber könnte sich mit in Anlehnung an die genannten Studien ein paar Fragen stellen: Bin ich teamfähig? Muss ich teamfähig sein? Wie mache ich mich teamfähig? Noch weiterführend, wenn heute Personalern Teamfähigkeit als die wichtigste Kompetenz erscheint, muss ich diese dann noch betont und hervorgehoben?

In meinen Beratungen und Coachings empfehle ich sein eigenes Profil nicht nach dem Massengeschmack auszurichten. Entweder ich bin teamfähig oder ich bin es nicht, um bei der gewählten Fähigkeit zu bleiben. Trifft letzteres zu, werde ich mir keinen Gefallen tun, wenn ich mit einer nicht vorhandenen Kompetenz hausieren gehe, um dann bei der erstbesten Gelegenheit krachend auf die Nase zu fallen. Verfüge ich über diese Gabe, macht ihre Ausprägung den Kohl fett, so dass ich situativ entscheide, ob diese persönliche Stärke erwähnenswert – im Sinne eines scharfen Profils – ist.

Für mein intelligentes Selbstmarketing ist es nicht zielführend, wenn ich Skills zu meinen Kernkompetenzen erhebe, nur weil sie derzeit in Deutschland scheinbar gefragt sind. Damit wird mein Profil nicht scharf, sondern eher stumpf. Was alle können, ist nicht wirklich einzigartig und darüber hinaus bekommen diese Fähigkeiten zunehmend den Touch des Erwartbaren. Ich gebe doch auch nicht an, dass ich verletzungsfrei mit Messer und Gabel essen kann.

Bei vielen Berufsbildern ist der geübte bis professionelle Umgang mit MS Office unabdingbar. Ob ich diese Fähigkeit dann in den Stand meines Markenkerns heben muss, sollte individuell betrachtet werden. Pauschal empfehle ich es nicht zu tun. Weil dies eine der Einstellungsvoraussetzungen ist und damit alle vergleichbar sind. Also brauche ich doch etwas, was mich von der grauen Masse abhebt, was mich einzigartig macht – nur so kann ich mich gezielt aus dem Einheitsbrei herausheben.

In meinen Vorträgen, Workshops und auch in meinem Buch „Bewerben ist wie Flirten. Einfach.“ gehe ich auf die perfekte Selbstvermarktungs-Strategie ausführlich ein.

Wie scharf ist Dein Profil? Was ist Dein Markenkern? Wodurch hebst Du dich von der Masse ab? Womit löst Du Probleme?

Ich wünsche Dir wundervolle Impulse für die nächsten 7 Tage.
Bleibe inspiriert.

Holger

1„Leute, die anecken, kommen nicht mehr hoch“ von Jon Dams, Nikolaus Doll, Inga Michels, Karsten Seibel, Welt am Sonntag, 01.10.2018

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